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Betrachtet man Abfolgen von Zahlenwerten und möchte diese in der physikalischen Realität eine Bedeutung zuordnen, so muss man beachten, dass auch die Skala auf der man dies tut, eine physikalische Bedeutung hat. Eine klassische Denksportaufgabe, um sich das zu veranschaulichen, ist Achilles und die Schildkröte. Achilles war für seine Schnelligkeit bekannt und die Schildkröte für ihre sprichwörtliche Langsamkeit. Nun stelle man sich vor, die beiden machen ein Wettrennen. Da die Schildkröte ein Handicap hat, wird ihr ein Vorsprung zugestanden. Nach dem Start betrachtet man, nach welcher Zeit Achilles den Punkt erreicht hat, von dem die Schildkröte gestartet ist. Die Schildkröte hat natürlich auch ein Stück Strecke geschafft. Im weiteren Verlauf betrachtet man immer die Zeit, die Achilles braucht, um den Punkt zu erreichen, an dem die Schildkröte beim letzten Messpunkt war. Auf dieser Skala wird Achilles die Schildkröte also nie erreichen, weil trotz ihrer Langsamkeit wird die Schildkröte immer ein kleines Stück weiter sein. Auf dieser Skala holt Achilles die Schildkröte also nie ein, obwohl er viel schneller ist.

Auf einer vernünftig gewählten linearen Skala der Zeit sieht das natürlich ganz anders aus. Hier hat also eine willkürliche Wahl der Skala die Realität verzerrt. Das Wettrennen wird sehr klar ausgehen und Achilles wird schnell siegen. Dieses Gedankenexperiment verleitete den alten Griechen Zeno zum Trugschluss, dass er dachte einen Beweis dafür gefunden hätte, dass Bewegung eine Illusion sei. Schon eine falsche Wahl der Skala führte hier zu einer Fehlinterpretation.

Ein anderes Beispiel zeigt, dass nicht nur die Skala zu Problemen führen kann, sondern auch manche Fragestellungen sich einfach nicht beantworten lassen. Stellen wir uns jemand vor, der mit seinem Hund nach Hause geht. Ab einer gewissen Entfernung von der Haustür läuft der Hund auf das Haus zu. Aber wenn er merkt, dass er dort allein ist, rennt er wieder zurück bis zu dem Punkt, wo der Mensch, der mit konstanter Geschwindigkeit weitergeht, nun ist. Dann wiederholt sich das Spiel. Betrachten wir dies mathematisch idealisiert: Haus, Mensch und Hund sind Punkte auf einer Achse. Hund bewegt sich doppelt so schnell wie Mensch und benötigt zum Wenden keine Zeit.

Zum Warmwerden eine einfache Frage: Welche Strecke legt der Hund zurück ab der Entfernung x wo er beginnt hin und her zu laufen bis der Mensch am Haus ist? Man könnte umständlich die hin- und hergelaufene Strecke aufsummieren, aber die Lösung ist viel einfacher: Der Hund ist doppelt so schnell wie der Mensch. Also läuft er in der gleichen Zeit die doppelte Strecke. Diese Frage lässt sich also ganz einfach beantworten.

Der Hund läuft die ganze Zeit entweder zum Mensch oder zum Haus. Jetzt ist also die eigentliche Frage: In welche Richtung läuft der Hund, als der Mensch beim Haus ankommt? Die Frage klingt bei naiver Betrachtung ganz einfach. In eine Richtung muss er ja durch die Idealisierung laufen. Aber der zeitliche Abstand zwischen den Umkehrpunkten wird immer dichter. Im letzten Moment, bevor der Mensch das Haus erreicht “vibriert” der Hund quasi mit unendlicher Frequenz hin und her und wir können keine Richtung berechnen.

Betrachtet man die Richtungen als Zahlen, also beispielsweise 1 für “zum Haus” und -1 für “zum Mensch”, dann können wir eine Zahlenfolge aufstellen. Auch diese hat durch die “Vibration” am Ende unendlich viele Punkte. Nun können wir argumentieren, dass die Richtung der Grenzwert dieser Folge sein soll. Eine Folge, die zwischen zwei Zahlenwerten hin und her springt, hat aber keinen Grenzwert. So können wir hier mathematisch argumentieren, dass der Hund keine definierte Richtung hat.

Es gibt noch eine andere Betrachtung. Der italienische Mathematiker Ernesto Cesàro hat herausgefunden, dass bei einer Folge die einen Grenzwert hat, auch die Folge aus den Mittelwerten über n Elemente den gleichen Grenzwert hat. Diese Definition des Grenzwerts ist also gleichwertig. Man kann dieses Cesáro-Mittel aber auch auf Folgen anwenden, die keinen Grenzwert haben. Durch diese Methode lässt sich aber ein Grenzwert berechnen. Der Grenzwert für den Mittelwert von unendlich vielen -1 und 1 ist 0. Ohne das genauer zu erklären oder gar zu beweisen kann ich hier also argumentieren, dass der Grenzwert der Richtungen am Ende 0 ist. 0 entspricht aber keiner Richtung des Hundes. Ich habe mit dieser Cesáro-Methode also ermittelt, dass der Hund mathematisch exakt auf einem Umkehrpunkt und damit im Stillstand ist, also keine Richtung hat.

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