Was dreht sich beim Drehstrom eigentlich? Ist das mehr Spannung als normaler Wechselstrom aus der Steckdose?
Erst mal vorneweg die wirklich ernst gemeinte Warnung: Das Hantieren mit Netzspannung ist wirklich gefährlich. Das hier ist keine Erklärung, wie man damit in der Praxis umgeht. Und es ist auch keine Aufforderung, etwas mit Netzspannung zu machen. Es hat einen triftigen Grund, dass diese so isoliert ist, dass man als normaler Anwender diese nicht berühren kann.
Die meisten Haushalte haben heutzutage Drehstrom. Bei den meisten ist das einzige Gerät, das komplett an Drehstrom angeschlossen ist, der Elektroherd. Solch ein Herd verbraucht viel Leistung. Das bedeutet, es fließt viel Strom. Zum einen ist es günstiger den Strom auf mehrere Leiter zu verteilen als einen dickeren und damit steiferen zu verlegen. Aber wenn das der Hauptgrund wäre, müssten da auch drei Nullleiter sein, was größtenteils nicht der Fall ist.
Das Elektrizitätswerk liefert Drehstrom an. Und denen ist es am liebsten, wenn der Drehstrom auch gleichmäßig abgenommen wird. Das ist besonders bei großen Verbrauchern wichtig. Wie wird das nun bei den vielen kleinen im Haushalt erreicht? Die vielen Steckdosen und Lampenanschlüsse werden so gut es geht auf den Drehstrom verteilt. So mitteln sich die unterschiedlichen Verbraucher zumindest etwas auf.
Was ist Drehstrom eigentlich? Erst mal sind es drei Leitungen L1, L2 und L3 für Phase anstelle nur einer Phase L wie bei „normalem“ Wechselstrom. Daraus, dass man die Verbraucher vom Wechselstrom so einfach reihum auf den Drehstrom verteilt, kann man schließen, dass bei der Spannung erst mal kein Unterschied besteht. Würde man sich die drei Phasen vom Drehstrom im Oszilloskop ansehen, würde man hier auch keinen Unterschied sehen. Alle drei sind sinusförmig mit 50 Hz.
Um den Unterschied zu sehen, legen wir im Gedankenexperiment den Trigger des Oszilloskop fest auf eine der Phasen und schauen uns dann noch mal alle drei an. Hier sehen wir nun den Unterschied: Die drei sind zueinander um 120° oder $2 \pi / 3$ phasenverschoben. Und da 360° gleich 0° sind, bilden sie zusammen einen Kreis, wenn man die Phase als Winkel betrachtet.
Warum macht man das jetzt so? Dazu überlegt man sich, wie der Strom erzeugt wird: In Kraftwerken steht üblicherweise Rotationsenergie zur Verfügung. Und diese wird mit Generatoren in elektrischen Strom verwandelt. Damit die Umsetzung der Energie möglichst gleichförmig erfolgt, nutzt man mehrere Spulen im Generator, die dann reihum die mechanische Leistung gleichmäßig in Strom verwandeln.
Umgekehrt eignet sich dieser mehrphasige Strom auch hervorragend, um direkt Motoren zu betreiben. Das für die kreisförmige Bewegung nötige magnetische Feld erzeugt ohne besonderen Aufwand direkt die magnetische Anziehungskraft im Kreis herum. Deswegen laufen solche Motoren sehr ruhig. Man könnte das mit vielen Phasen machen, aber man kann sich überlegen, dass drei Phasen das Minimum ist, mit dem das funktioniert. Zwei Phasen würden sich als Winkel genau gegenüberliegen und es käme keine Drehung zustande. Und umgekehrt will man natürlich nicht mehr Aufwand betreiben als unbedingt nötig.
Nun hört man immer wieder, dass Drehstrom eine höhere Spannung hätte. Wo kommt diese höhere Spannung her? Wäre da wirklich eine höhere Spannung auf den Phasen, könnte man nicht einfach eine normale Wechselstromsteckdose aus dem Drehstrom abzweigen. Dazu machen wir ein weiteres Gedankenexperiment und stellen uns ein Oszilloskop mit drei Kanälen vor, sodass wir uns alle drei Phasen gleichzeitig ansehen könnten. Schließen wir einen Verbraucher an eine Phase und den Nullleiter N an, so bekommt der eben den normalen Wechselstrom. Das können wir reihum mit allen drei Phasen machen. Auch wenn wir einen Drehstrommotor so anschließen, bekommt der eben dreimal Wechselstrom; also auch keine höhere Spannung, sondern auch nur die gleiche Spannung, nur dreimal.
Bei vielen größeren Motoren sind die Anschlüsse der drei Wicklungen komplett auf ein Anschlussfeld herausgeführt. Es sind also 6 Anschlüsse, die man verschieden zusammenschalten kann. Das wird nicht gemacht, weil Elektriker so gern puzzeln. Sondern das dient dazu, damit man den Motor auch anders anschließen kann: Die Wicklungen werden nicht von den Phasen zum Nullleiter geschaltet, sondern gewissermaßen „zwischen“ den Phasen angeschlossen. Betrachtet man das wieder im Winkeldiagramm, so sieht das wie ein Dreieck aus. Daher wird das die Dreieckschaltung genannt.
Haben wir hier nun unsere höhere Spannung gefunden? Dazu betrachten wir die Sinusfunktionen der Phasen. Die Phasen haben alle zu bestimmten Zeitpunkten die gleiche Spannung; und mal ist die eine größer und mal die andere. Also ist auch die Differenz eine Wechselspannung. Und zu anderen bestimmten Zeitpunkten ist der Unterschied maximal. Und dieses Maximum ist größer als 1. Das bedeutet, die Spannung, die in Dreieckschaltung an den Wicklungen des Motors anliegt, ist größer als die in der „normalen“ Sternschaltung.
Um das genau auszurechnen, betrachten wir den einfachsten Fall: Ausgehend von der Phase, die genau dem normalen Sinus entspricht, betrachten wir die beiden anderen, die um plus oder minus $2 \pi / 3$ gleich 120° verschoben sind und deren Differenz. Es ergibt sich ein Kosinus und die Amplitude ist dann genau die Differenz der beiden phasenverschobenen Sinus bei x=0:
$$ \sin{ (120°)} − \sin{(−120°)} = 2 \sin{(120°)} = 2 \cos{(30°)} = 2 \sqrt {3}/2 = \sqrt{3} $$
So kann man also die Leistung eines Drehstrommotors auf einfache Weise ohne jeden elektronischen Aufwand in zwei Stufen einstellen. Die Wicklungen müssen dann also für eine Effektivspannung von $ 230V * \sqrt{3} = 400V $ ausgelegt sein. Nehmen wir die Last wie üblich als linear und reell an, steigt auch der Strom um den gleichen Faktor. Der Leistungsunterschied ist dann genau wie wir das auch sonst schon kennen das Quadrat davon, also Faktor 3.
Zu beachten ist in der Praxis, dass Motoren induktive Lasten sind, die besonders beim Anlaufen und bei Lastwechseln eben keine reellen Lasten darstellen. Wir betrachten hier vereinfachend nur den einfachen „stationären“ Zustand. Es ist vielleicht noch wichtig zu erwähnen, dass diese hier beschriebenen Effekte zwar auf der Phasenverschiebung zwischen den Phasen beruhen. Aber das alles hat nichts mit der Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom zu tun. Das hier beschriebene trifft alles auf reelle Lasten zu, wo Spannung und Strom in Phase sind.
Strom auf der Zuleitung
Bei Sternschaltung liegt am Verbraucher die gleiche Spannung an wie auf der Zuleitung gegen Masse. Also ist gemäß dem Energieerhaltungsgesetz auch der Strom der gleiche.
Bei der Dreieckschaltung ist die Spannung am Verbraucher aber höher als auf der Zuleitung. Also muss umgekehrt zum Ausgleich der Strom auf der Zuleitung höher sein. Der Strom auf der Zuleitung ist also bei Dreieckschaltung dreimal höher als bei Sternschaltung. Anschaulich gesagt, weil der Strom auf der Zuleitung sowohl den Faktor $\sqrt{3}$ von der Spannung am Verbraucher als auch den Faktor $\sqrt{3}$ vom Strom durch den Verbraucher tragen muss.
Oder anders gesagt, so wie es in den meisten Lehrbüchern steht: Bei Sternschaltung ist der sogenannte „Strangstrom“, also der durch den Verbraucher gleich dem Leitungsstrom, also der auf der Zuleitung. Bei Dreieckschaltung ist der Leitungsstrom um Faktor $ \sqrt{3} $ höher als der Strangstrom.
Da sich der Innenwiderstand bzw. die Impedanz der Last bzw. des Verbrauchers natürlich dabei nicht ändert, kann diese Stromerhöhung nur durch eine höhere Spannungsdifferenz oder nach Kirchhoff durch hinzugekommene Stromkreise entstehen. Die Spannungsdifferenz haben wir ja oben schon bei der Erhöhung des Strangstroms berücksichtigt. Der höhere Leitungsstrom (lila) kommt also von der Aufspaltung des Stroms in den rechten und linken Strang (grün und blau) aus Sicht jeder Leitung.
Wer mag, kann sich die Zusammenhänge auch in LtSpice ansehen: