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Der Effektivwert einer Sinus-förmigen Spannung berechnet sich zu Spitzenspannung geteilt durch Wurzel 2. So steht es in jeder Formelsammlung für Elektrotechnik. Wie kommt man darauf? Und wie ist das bei anderen Spannungsverläufen?

Dazu ist es gut, sich die Definition anzuschauen, was ein Effektivwert eigentlich ist. Die effektive Leistung einer Wechselspannung ist genau die Leistung einer Gleichspannung, die an einem reellen Widerstand die gleiche Leistung umsetzt. Diese äquivalente Leistung kann man messtechnisch über die thermische Leistung ermitteln. Mit einem Bolometer misst man die Temperatur eines Lastwiderstandes, den man vorher mit Gleichspannung kalibriert hat. Oder man betreibt zwei solcher Lastwiderstände und gleicht die Temperatur mit einer Brückenschaltung ab. Letztlich bildet man so einen Mittelwert über die Zeit. Damit diese thermische Mittelwertbildung funktioniert, darf die Frequenz der Wechselspannung nicht zu niedrig sein. Das funktioniert schon bei Netzfrequenz sehr gut, bei HF dann natürlich erst recht.

Um das berechnen zu können, erinnern wir uns an die Integrale. Der Energieverbrauch ist das Integral der Leistung über die Zeit. Und damit haben wir den Flächeninhalt eines Rechtecks mit der mittleren Leistung als Höhe und der Zeit als Breite berechnet. Nun müssen wir also nur noch durch die Zeit teilen und wir haben die mittlere Leistung.

Um das wirklich auszurechnen, muss die Leistung als Produkt aus Spannung und Strom berechnet werden. Gehen wir erst mal vom „normalen“ Fall aus, dass die Spannung Sinus-förmig ist. An einem reellen Widerstand ist der Strom in Phase und natürlich auch Sinus-förmig. Wir können die beiden also mithilfe des Ohmschen Gesetz zum Quadrat des Sinus und der Spannung zusammenfassen.

$$ \begin{align}
P &= U_s \sin(x) * I_s \sin(x)  \newline
&= U_s \; I_s \; \sin^2(x)  \newline
&= R \; U_s^2 \; \sin^2(x)
\end{align} $$

Der Widerstand ist dabei konstant. Um die Formel etwas zu vereinfachen, nehmen wir ihn mit 1 Ω an und die Spannung mit 1 V. Anders gesagt: Die Formel beschreibt dann den Faktor für die echte Spannung und den echten Widerstand.

$$ P \sim \sin^2(x) $$

EffektivwertImmer wenn der Sinus von der Spannung negativ ist, ist auch der Sinus vom Strom negativ. „Minus mal Minus gibt Plus“ und somit ist die Leistung immer positiv. Rechnet man das ganze aus, so ergibt sich die effektive Leistung genau zur Hälfte der Spitzenleistung. Das überlassen wir einfach wieder einem der schon bekannten Algebra-Tools, wie Wolfram Alpha. Nun muss man noch Spannung und Strom über den reellen Widerstand auseinanderziehen, einfach in dem man die Wurzel zieht. Die Effektivwerte von Spannung und Strom sind also jeweils $1 / \sqrt{2}$ ihrer Spitzenwerte.

$$ \begin{align}
P_{eff} &= U_s \; I_s \; / 2  \newline
U_{eff} &= U_s  / \sqrt{2}  \newline
I_{eff} &= I_s  / \sqrt{2}
\end{align} $$

Warum verteilt sich der Faktor der Leistung über die Wurzel genau gleichmäßig auf Spannung und Strom? Das liegt am Ohm’schen Gesetz. Bei konstanter Impedanz können sich Spannung und Strom nur um den gleichen Faktor ändern.

EffektivwertMacht man das ganze mit Spannung und Strom an einem rein imaginären Widerstand, also einer perfekten Spule oder einem perfekten Kondensator, so sind Spannung und Strom um 90° phasenverschoben. Mathematisch bedeutet das, der Strom entspricht nicht dem Sinus der Spannung, sondern dem Kosinus mit positivem oder negativen Vorzeichen. Die effektive Leistung ergibt sich dann zu null, weil die Leistung immer abwechselnd positiv und negativ ist. Deshalb wird an einem perfekten Kondensator oder einer perfekten Spule keine reelle Leistung umgesetzt.

Beim Sinus sieht man das Ergebnis auch schon sehr schön anschaulich: Ein zur y-Achse symmetrisches Signal ergibt bei der Bildung des Mittelwerts eben einfach die Mitte. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass der Mittelwert der Leistung gebildet werden muss. Dass das Quadrat des Sinus wieder eine Sinus-förmige Schwingung mit genau der doppelten Frequenz ist, ist kein Zufall. Das ergibt sich aus genau dem gleichen Additionstheorem, mit dem man auch den Balance-Mischer berechnen kann.

Maximale Phasenverschiebung

Dreht man die Phasenverschiebung noch weiter, wird die effektive Leistung negativ. Der Widerstand müsste also Leistung liefern. So wird dann auch klar, warum das bei passiven Bauteilen nicht vorkommen kann. $ \pm 90°$ ist wirklich die physikalische Grenze des Möglichen.

Andere Signalformen

Was passiert nun z. B. bei einer Rechteckspannung? Hier ist der Spitzenwert die Hälfte der Zeit die negative Spitzenspannung und die andere Hälfte die positive. Mit dem Strom multipliziert also dauernd der positive Spitzenwert. Das ist ganz einfach auszurechnen. Ein Rechteck mit der Breite $2 \pi$ und der Höhe 1, geteilt durch $2 \pi$, ist natürlich 1. Das heißt, bei einer Rechteckspannung ist Spitzenspannung und Effektivspannung gleich. Es hängt also von der Signalform ab, wie Spitzenspannung und Effektivspannung zusammenhängen.

Zufällige Signalformen

Wie misst man den Effektivwert von z. B. einem NF-Signal? Hier kann ich keine bestimmte Signalform angeben, es ist gewissermaßen zufällig. Der Trick, der hier hilft, ist wieder das Integral. Man summiert das Quadrat der gemessenen Spannung über eine bestimmte Zeit und teilt dann durch die Zeit. Also eigentlich das gleiche wie oben, nur dass wir es nicht über eine mathematische Funktion machen, sondern über einzelne Messwerte. Wie genau das funktioniert, hängt an der Häufigkeit, mit der gemessen wird, also an der Abtastrate.

Nun noch die Wurzel ziehen und man hat die effektive Spannung über den betrachteten Zeitraum. Multimeter, die das automatisch machen, erkennt man an dem Begriff RMS, was für root mean square steht, also „Wurzel aus den gemittelten Quadraten“.

Gleichspannungsanteil

In der Funktechnik interessiert uns ein Gleichspannungsanteil meist nicht, er stört nur. Auszurechnen ist er aber nicht schwer. Bei der Leistung ergibt er sich einfach als Summe. In der funktechnischen Praxis gibt es zwei Fälle, wo so etwas vorkommt: Wenn man einen Transistor über ein Filter mit Strom versorgen will, fließt auch der Gleichstrom über die Spule und erhöht das magnetische Feld. Der Gleichstrom muss also bei der Betrachtung der Sättigung des Kerns berücksichtigt werden. Ähnlich ist es bei der Phantomspeisung abgesetzter Verstärker. Die Phantomspeisung sollte also möglichst nicht über Filter geführt werden.

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