Eine Kurvendiskussion hilft, die Eigenheiten einer Formel zu verstehen. Hier betrachten wir ein nicht triviales Beispiel:
$$ y = x \; e^x $$
Eins der wichtigsten Hilfsmittel der Kurvendiskussion ist die Ableitung. Hier nutzen wir die Produktregel der Ableitung:
Ein Produkt von Termen u und v wird abgeleitet, in dem man beide Terme einzeln ableitet und dann diese Summe bildet:
$$u \; v’ \ + \ u’ \; v$$
Wir erhalten dadurch:
$$ \begin{align}
y’ &= e^x + x e^x \ \ \ \ \bigg \vert \ e^x ausklammern \\
&= e^x (x+1)
\end{align}$$
Eine andere wichtige Methode ist die Ermittlung der Nullstellen. Eine Regel dabei ist, dass bei Produkten jeder Term einzeln betrachtet werden kann. Die Wachstumsfunktion $e^x$ hat schon mal sicher keine Nullstelle. Bei der Funktion selbst sieht man also gleich, dass x=0 auch y=0 ergibt. Bei der Ableitung betrachten wir entsprechend auch nur den anderen Term:
$$ \begin{align}
x+1 &= 0 \ \ \ \ \bigg \vert \ −1 \\
x &= −1
\end{align}$$
Nullstellen in der Ableitung bedeuten, dass die Kurve hier waagerecht verläuft, also für gewöhnlich ein Maximum oder Minimum hat. Es kann aber auch ein sogenannter Sattelpunkt sein.
Hier zur Veranschaulichung das Minimum und Maximum von Parabeln vierter Ordnung im Vergleich zum Sattelpunkt einer Parabel dritter Ordnung:
Nun rechnen wir von der Funktion y und ihrer Ableitung y’, also der Steigung, einige markante Punkte aus:
$$ \begin{align}
y(−1) &= − {1 \over e} & y'(−1) &= 0 \\ \\
y(0) &= 0 & y'(0) &= 1 \\ \\
y(1) &= e & y'(1)&=2e
\end{align} $$
Wer mag und es nicht gleich sieht, kann sich noch den y-Achsenabschnitt k für die Steigungs-Tangente bei x=1 ausrechnen:
$$ y_g = a x + k $$
mit yg = e , a = 2e und x = 1:
$$ \begin{align}
e &= 2 e + k \ \ \ \ \bigg \vert \ −2e \\
k &= −e
\end{align} $$
Nun können wir den Kurvenverlauf zeichnen:
Für große x ist der Kurvenverlauf vom exponentiellen Term dominiert. Qualitativ trägt das „mal x“ nur wenig bei. Für kleine x gilt das beim Betrag auch. Aber die Kurve schmiegt sich „von unten“, also im negativen Bereich an die x-Achse an. Die auffälligen Dinge passieren um den Nullpunkt herum. Für x=1 ist y=e, genau wie bei der Exponentialfunktion. Aber die Steigung beträgt 2e. Für x=0 haben wir einen Nulldurchgang mit Steigung 1. Der Nulldurchgang der Ableitung ist bei -1. Die Exponentialfunktion ist hier 1/e, unsere Funktion also -1/e .
Die Umkehrung davon wird als Lambert-W-Funktion bezeichnet. Andere Namen sind Omega-Funktion oder Produkt-Logarithmus. Die Umkehrung ist keine Funktion, weil sie wie z.B. die Quadratwurzel als Umkehrung des Quadrats mehrere Ergebnisse pro Argument hat. Auch ansonsten ist sie schwierig zu handhaben.
Umkehrung bedeutet y und x vertauschen. Grafisch entspricht das einer Spiegelung an der Winkelhalbierenden der Koordinaten, also der Gerade y=x . Eine Funktion wird das also genau dann, wenn jeder y-Wert nur ein Mal vorkommt. Bei periodischen Funktionen wie Sinus kann man die Funktion „retten“ in dem man sich auf einen Teilbereich beschränkt. Der Rest besteht dann gewissermaßen aus „Kopien“ dieses Bereichs. Bei der Wurzel sind die verschiedenen y-Werte genau das Negative zueinander. Man beschränkt sich dann auf die positiven Werte, wenn man das als Funktion benötigt. Bei der Lambert-W-Funktion funktioniert keiner dieser „Tricks“.
Parametrische Darstellung
Aber es gibt doch eine Möglichkeit, diese Kurve geschlossen darzustellen; und nicht nur diese: Sogar Kurven, die überhaupt gar keine funktionale Darstellung haben, können damit aufgeschrieben werden; z.B. ein Kreis. Der Trick heißt Parametrisierte Darstellung. Das bedeutet, man führt eine zusätzliche Variable t ein, den sogenannten Parameter. x und y werden dann jeweils als Funktion von t definiert. Im einfachsten Fall setzt man x und t gleich. Das funktioniert z.B. beim Quadrat, bzw. der Parabel, und man erhält die Wurzel als Umkehrfunktion ganz einfach und ohne Probleme durch Vertauschen von x und y, weil es hier kein erneutes Auflösen nach y gibt.
Hier bei unserer Formel kann man auch eine andere Substitution wählen. Was am Ende günstiger ist, hängt von der Formel und der Aufgabe ab. Hier wählen wir den natürlichen Logarithmus als Funktion des Parameters t für x. Die Funktion für y ergibt sich dann durch Einsetzen der Funktion für x.
$$ x= \ln t $$
$$ y = t \ln t $$
Wenn man wie hier einen Parameter wählt, der keiner Achse entspricht, sind die Werte etwas unanschaulich. Aber das kennen wir ja im Prinzip schon von der Ortskurve. Diese ist die parametrisierte Darstellung des komplexen Widerstands mit der Frequenz als Parameter.
Die Umkehrung ergibt sich wie zuvor erwähnt einfach durch Vertauschen von x und y und so kann z.B. gnuplot das dann auch grafisch darstellen.
set parametric plot t*log(t), log(t)
Kreis als parametrisierte Formel
Ein Beispiel, wo man nicht so viel Freiheit hat, ist der Kreis. Es gibt keine Funktion f(x), die einen Kreis komplett zeichnen könnte, weil auf beiden Koordinatenachsen Werte doppelt vergeben sind. Aber die Lösung in parametrischer Darstellung ist bekanntlich ganz einfach mit Radius r und dem Winkel a als Parameter von 0 bis $ 2 \pi$:
$$ x = r \cos a $$
$$ y = r \sin a $$
Der Kreis ist also das vermutlich bekannteste Beispiel für eine parametrisierte Gleichung. Weil uns der Winkel in dem Zusammenhang vertraut ist, wirkt auch diese Darstellung anschaulich und vertraut. Umgekehrt kann man sagen: Es empfiehlt sich für die parametrische Darstellung einen Parameter zu suchen, der selbst auch etwas bedeutet, so wie oben schon erwähnt, die Frequenz in einer Ortskurve.
Steigung einer parametrisierten Formel
Die Steigung ermitteln wir über eine Ableitung. Das gilt prinzipiell auch für parametrisierte Formeln. Aber nun haben wir zwei Gleichungen. Betrachten wir die beiden Gleichungen für die Koordinaten der Formel als Ortsvektor, ist es recht naheliegend auch die beiden Gleichungen der Ableitung als Vektor zu betrachten. Es ist der tangentiale Richtungsvektor der Kurve. Die Ableitung gibt also genau wie in der gewohnten Darstellung einer Funktion an, wie die Kurve „weitergeht“. Aber in der parametrisierten Darstellung funktioniert das auch für senkrechte Kurvenverläufe oder wenn es sprichwörtlich „im Kreis rumgeht“.
In der parametrischen Darstellung des Kreises oben sieht man auch schön anschaulich, wie die Steigung bzw. Ableitung von Sinus und Kosinus sich reihum immer abwechseln. Immer wenn eine Koordinate maximal ist, dann ist ihre Steigung genau Null und umgekehrt.
Für den Kreis gilt dann also:
$$\begin{align}
x’ = & − r \sin a \newline
y’ = & + r \cos a
\end{align}$$
Das Plus steht hier nur zur Verdeutlichung des Vorzeichenwechsel beim Ableiten des Kosinus. Interessant ist dabei, dass die Ableitung der parametrischen Form eine Richtung hat. Vektoriell kann man sich das so vorstellen, dass die ursprüngliche Funktion den Ortsvektor angibt und die Ableitung den Richtungsvektor.
Ortskoordinate des Kreises als Ortsvektor:
$$
\vec{k}= r \left(\begin{array}{c} \cos a \\ \sin a \end{array}\right)
$$
Ableitung des Kreises als Richtungsvektor:
$$
\vec{k}’ = r \left(\begin{array}{c} −\sin a \\ \cos a \end{array}\right)
$$
In dieser Darstellung sieht man, dass die Ableitung des Kreises auch selbst wieder einen Kreis beschreibt.
Sonderfälle
Manchmal hat man Formeln, die sich mit den einfachen Standardregeln nicht behandeln lassen. Hier ein Beispiel:
$$ y= x^x $$
Bei x hoch x hilft keine der normalen Ableitungsregeln. Aber man kann einen Trick anwenden, der immer wieder mal nützlich ist: Wir machen die Formel scheinbar komplizierter. So etwas hat uns auch schon am Ende bei der Ausleuchtung der Parabolantenne genutzt, um die Formel zu vereinfachen. Hier haben wir eine Potenz. Es könnte also helfen, eine zusätzliche Potenz einzubauen, um dann Potenzgesetze anwenden zu können. Natürlich darf diese Änderung die Formel effektiv nicht ändern. Also wird eine Potenz zusammen mit ihrer Umkehrfunktion, dem Logarithmus, eingeführt und die Basis von oben entsprechend „aufgebläht“:
$$y= (e^{\ln x})^x$$
Da wir gleich ableiten wollen, wählen wir in weiser Voraussicht die Basis e, weil hier die Ableitung besonders einfach ist; und nicht etwa die Basis 10, die wir ja sonst in der Funktechnik eher gewohnt sind.
Hier wendet man das Potenzgesetz für verkettete Exponenten an:
$$y= e^{x \ln x}$$
Nun lassen sich zwei Ableitungsregeln anwenden: Die Kettenregel und die Produktregel. Das ist hier besonders bequem, weil die Ableitung der e-Funktion einfach die e-Funktion selbst ist.
Die Kettenregel besagt, dass man bei ineinander verschachtelten Funktionen y=f(g(x)) die Ableitung der inneren mit der der äußeren multipliziert:
y’ = g'(x) * f'(g(x))
$$ \begin{array}{l l c l }
y’ & = & e^{x \ln x} & (\ln x + x * 1/x) \\
& = & x^x & (\ln x +1)
\end{array}$$
Von der Ableitung bestimmen wir die Nullstelle. Der linke Term hat keine Nullstelle. Also betrachten wir nur den rechten Term:
$$ \begin{array}{l }
\ln x +1 = 0 \ \ \ \ & \vert \ −1 \\
\ln x = -1 \ \ \ \ & \vert \ e \widehat{ \; } \\
x = e^{-1} \\
x = 1/e \approx 0{,}37
\end{array}$$
Zu dieser Nullstelle der Ableitung können wir noch den Funktionswert der ursprünglichen Funktion ausrechnen:
$$\begin{align}
y(1/e) &= e ^{1/e \ln{1/e}} \\
&= e^{-1/e} \\
& \approx 0,7
\end{align}$$
Hier ist alles zusammen grafisch dargestellt: Lila die Kurve der Funktion und türkis die der Ableitung. Als Hilfslinien haben wir die Nulllinie in Blau und in Gelb den Funktionswert bei der Nullstelle der Ableitung und noch senkrecht die Nullstelle der Ableitung.
Interessant ist dabei, dass es anschaulich so aussieht, als ob die lila Kurve der Funktion mit einer endlichen Steigung gegen ihren Grenzwert 1 für x gegen 0 geht. Betrachtet man dagegen die Ableitung, sieht man, dass die Kurve „auf den letzten Drücker“ immer steiler wird und asymptotisch senkrecht wird und damit sozusagen unsichtbar direkt vor dem Endpunkt (0; 1) die Steigung gegen $- \infty $ geht.
Das ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass man sich nicht durch grafische Darstellungen verleiten lassen soll anzunehmen, dass man daraus alles ablesen kann, was es über die Funktion zu wissen gibt.
Hier noch ein Youtube-Video von MathemaTrick dazu.